Wo ist das Dorf?
In dem Tatort „Tango für Borowski“ fragt der Kommissar einen Finnen, wo sich denn das Dorf befinde, worauf der Gefragte antwortet: „hier“. Die Szene verweist auf zwei finnische Eigenheiten. Zum Einen auf ihre sprichwörtliche Wortkargheit, zum Anderen auf die ländliche Siedlungsstruktur in Finnland, die mit der norwegischen bzw. schwedischen vergleichbar ist. Einen Dorfkern sucht man vergeblich. Die Ortschaften und kleinen Städte wirken wie eine willkürliche Anordnung von Häusern, die weitläufig in die Landschaft, oder vielmehr in den Wald gebaut werden. Für den Mitteleuropäer, der geschlossene Dörfer mit dem Marktplatz als Mittelpunkt des Gemeinwesens gewohnt ist, muten finnische Siedlungen seltsam an. Wer so etwas wie einen Mittelpunkt einer Ansiedlung sucht, sollte in Finnland nach der „Heiligen Dreifaltigkeit“ Ausschau halten. Zuerst macht man die Kirche (1) ausfindig. In der Regel befindet sich in näherer Nachbarschaft auch ein Supermarkt (2) und mindestens eine Tankstelle (3). Wer Glück hat, entdeckt auch noch einen „Grilli“, wo er einen Burger verdrücken kann, oder den örtlichen „Kioski“. Um die Szenerie komplett zu machen müsste noch ein Fabrikschlot in der Nähe stehen. Kommen all diese Dinge zusammen, befindet man sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mitten in Finnland.
Spielautomaten
Auffällig ist die Anzahl von Spielautomaten in Finnland. Während wir diese blinkenden Geräte mit Spielhallen im Industriegebiet, oder mit dem einarmigen Banditen im Dönerladen verbinden, gehören sie hier anscheinend zur Alltagskultur. Ob in der Tankstelle, im Supermarkt, sie stehen einfach überall. Und alle möglichen Leute werfen hier ihr Geld ein. Die Oma steht am Automaten neben dem Banker, der gerade Mittag macht und sich auf dem Weg zu seinem Grillwürstchen für kurze Zeit, ja was nur, Ablenkung, das große Glück, oder nur Zeitvertreib sucht? Da ich den Dönerladen erwähnt habe, eine kurze Warnung an dieser Stelle. Wir haben bisher einmal nicht selber gekocht. In Tampere sind wir in einem Dönerladen gestrandet und haben beide Iskender Kebap bestellt. Der ist normalerweise lecker, der obligatorische Joghurt verleiht dem Gericht eine kulinarische Leichtigkeit. Wir bekamen in dem Laden für 20 € zwei Portionen. Das Gericht war folgendermaßen aufgebaut. Auf dem Tellerboden legte man Weißbrotwürfel der luftigsten Sorte. Darüber war ein Berg mit labbrigen, wie es schien, ungewürzten Fleischstreifen drapiert. Daneben befand sich noch eine kleine Pseudoportion grüner Salat ohne Dressing und als Krönung des Ganzen: Ketchup und Unmengen einer orangen Soße, die man in jedem Laden käuflich erwerben kann und die unterschiedlichsten Gerichte zu verfeinern vermag. Die Fleischstreifen liegen auch im Kühlregal für den Anhänger der heimisch-schnellen Küche. Wir halten uns seitdem an die Empfehlung einer norwegischen Reisejournalistin: „Leute bleibt in euren Campern und kocht selber. „
Unterwegs in Rauma.
Einaugen
Wer hat sie noch nicht gesehen im Straßenverkehr, die „Einaugen“. PKWs, oder LKWs bei denen eines von beiden Abblendlichtern defekt ist. In Skandinavien besteht Lichtpflicht auch am Tag, da könnte man meinen eine defekte Autolampe fällt nur eher auf als zuhause. Es gab bisher keinen Tag an dem uns nicht zumindest 10 Autos mit defekter Lampe entgegengekommen sind. Unser absoluter Rekord liegt bei über 30 Sichtungen auf einer Strecke von unter 200 Kilometern. Rätselhaft das Ganze. Handelt es sich um reinen Zufall? Sind die Finnen zu faul ihre Birne zu wechseln, oder herrscht hier ein Mangel an Ersatzteilen? Die Ordnungshüter scheint das nicht weiter zu interessieren, solange man sich pedantisch an die Geschwindigkeitsregeln hält. Da kennt man hier (wie in Norwegen) keinen Spaß. Alle paar Kilometer steht eine permanente Kamera. Zum Glück warnt uns unser Navigationsgerät davor frühzeitig. Falls es uns mal nicht warnt würden wir das schon zu spüren bekommen. Und zwar in Form von künstlich „aufgeschütteten Bergen“ mitten auf der Fahrbahn, die einem alle Knochen und das Auto malträtieren, um einen daran zu erinnern bei der nächsten Geschwindigkeitsbegrenzung etwas zivilisierter zu fahren.
Mal was Positives
Karin meint, ich solle doch mal was Positives über Finnland schreiben. Komisch, ich dachte, daß hätte ich bereits getan. Nun gut, nachdem uns nach 9000 Kilometern auf skandinavischen Rumpelpisten die Jalousie unserer Schiebetür abgefallen ist, die verfaulten Keilhölzer des Fensters uns täglich durch den provisorisch angebrachten Duschvorhang am Fenster anstarren, die hintere Fensterscheibe sich kurzzeitig aus der Verankerung löste, diverse Hacken im Auto abgefallen, die Eintrittsstufe durch einen Steinhaufen in Mitleidenschaft gezogen, Wasser durch die Oberlichter drang und diverse Verzierungen durch herunterhängende Äste unsere Wagenseite verschönern, an dieser Stelle mal etwas Positives: In Finnland kann man ohne Probleme frei stehen. Wir fahren nur einmal die Woche einen Campingplatz an um uns zu duschen und Wäsche zu waschen, ansonsten stehen wir frei. Irgendwo im Wald, auf freien Parkplätzen. Wo kein ausdrückliches Verbotsschild steht ist es in Finnland (wie in Norwegen) möglich frei zu stehen. Das bezeichnen wir als unschätzbare Freiheit. Deutschland wirkt dagegen überreguliert. Aber das mag der Größe des Landes und der geringen Einwohnerzahl geschuldet sein. Wo viele Menschen leben gibt es auch viele (überflüssige) Regeln.
Nah am Abgrund. Wald und Wasser soweit das Auge reicht.