Go West…

Wir fahren nach Breisach und übernachten direkt am Rhein. Auf der anderen Seite liegt Frankreich, die französische Schrift des Bootsanlegers ist deutlich zu sehen. In der Nacht fällt die Temperatur im Van auf 3° Celsius. Am Morgen lassen wir für eine halbe Stunde die Gasheizung laufen. Kuschelige Temperaturen sehen irgendwie anders aus. Über Mulhouse und Belfort fahren wir nach Bourg-en-Bresse und verbringen dort unsere zweite Nacht auf einem kostenlosen kommunalen Stellplatz. Die Temperaturen sind ein wenig erträglicher geworden. Und das Angebot an französischen Leckereien ist nicht zu verachten. Das Baguette ist wie immer lecker und günstig. Und die Franzosen sind einfach Genießer. Hase und Huhn werden mit Kopf und Innereien verkauft, denn sie werden auch verzehrt. Die Grenze der Schweinelendchenkultur haben wir glücklicherweise überschritten. Es überwiegen schmackhafte Käsesorten, Rillettes und Pasteten, die mit einer Fettschicht überzogen sind. Und an der Autobahnraststätte findet man Poularden im Kühlregal. Wir stellen fest, daß wir ganz vergessen haben, wie schön Frankreich ist. Auf unseren früheren Reisen durch das Land hatten wir immer diesen Eindruck, er hat sich wieder bestätigt. Die Menschen sind nett, die Gespräche sind gedämpft. Bei den Bewohnern handelt es sich in der Regel um „Leisetreter“ und die Landschaft bezaubert durch ihre Vielfältigkeit. Die Maut ist hier zwar sündhaft teuer (ein Lob auf die Schweizer, die noch am billigsten sind), aber nicht nur die Autobahnen sind dafür in einem besseren Zustand, als die Straßen in Deutschland. Je länger wir reisen, desto fester manifestiert sich bei uns die Überzeugung, daß Deutschland in vielen Dingen mittlerweile abgehängt wurde. Telekommunikation, Straßenverhältnisse, aber auch der Servicegedanke an der Straße und im Land stehen in Deutschland nicht an erster Stelle. Das Land verabschiedet sich so langsam in die zweite Liga. Die Stellplätze für Wohnmobile sind in Frankreich meistens kostenlos und gut ausgestattet. Einen Ablaß für das Brauchwasser findet man ebenso, wie eine Möglichkeit seine Chemietoilette zu entleeren, oder Frischwasser zu tanken. Die Rastplätze sind stilvoll mit Bänken, Tischen und viel Grün angelegt, am Straßenrand geht es hier jedenfalls nicht finnisch zu. Nach einem kurzen Abstecher nach Pierrelatte, der französischen Partnerstadt von Haßfurt,

Jetzt sind wir schon zum dritten Mal hier….

fahren wir nach Chusclan, einem kleinen Ort in unmittelbarer Nähe von Orange und verbringen unsere zweite Nacht in Frankreich.

Chusclan wirkt auf uns ziemlich verschlafen.

Am nächsten Tag kaufen wir noch ein paar Flaschen Rosewein in der örtlichen Kelterei und machen uns auf den Weg nach Espéraza, wo wir unsere dritte Nacht in Frankreich verbringen. Am nächsten Tag geht es über die Pyrenäen nach Spanien.

Auf 1700 Metern Höhe in den Pyrenäen.
So schnell wollten wir eigentlich nicht über die Grenze, doch plötzlich lag sie vor uns.

Von Annaberg-Buchholz nach Morgenröthe-Rautenkranz bis zur Deutschen Eiche.

Durch Brandenburg in den Spreewald, weiter in die Lausitz und das Erzgebirge, dann in das Vogtland und in das Fichtelgebirge und schließlich vor die eigene Haustür zu fahren, hat schon seinen Reiz. Nach all den Wochen wird einem auch klar, daß Geschichte auch anders laufen kann. Während in Norwegen das Königshaus importiert wurde und ohne angehängten Adel regiert, begegnen einem bei uns die Geschichten um Schlachten der Adelgeschlechter (vielmehr der tributpflichtigen Bauern) an allen Orten. In Norwegen gab es keinen Adel. Der Bauer war dort nie Leibeigener. Demzufolge sucht man Schlösser und Burgen dort vergebens, außer als Wehrburgen in der Grenzregion. Keine Rede von Guttis und sonstigen Adeligen. In der Region um Narvik findet man dagegen Schilder zur jüngeren Geschichte. Die Schlacht um Narvik ist immer noch in Erinnerung. Davon wußten wir bisher nichts. Über die Existenz des größenwahnsinnigen Schiffes „Tirpitz“ habe wir in seiner Bedeutung erst dort erfahren. Was hat „das größte Reisebüro der Welt“, die Wehrmacht eigentlich dort verloren gehabt? Zurück in Deutschland stellen Schlachtplätze wohl ein touristisches Highlight dar. In der Schlacht von Gransee hat der Mecklenburger gegen den Brandenburger und der Wittelsbacher hat auch noch … insgesamt 7000 Mann die sich für irgendeinen Quatsch auf die Schädel gehaut haben.

Schlacht bei Gransee 1316.

Das Schild hat natürlich eine Öffnung, so daß die Schlacht für die Instagram-Jünger perfekt in Szene gesetzt wird. So geht Tourismus heute! Der letzte Depp versteht es, ein Bild oder Selfie an dieser Stelle aufzunehmen.

Im Erzgebirge waren wir in den letzten Jahren schon öfter. Die Region ist wirklich schön, jedoch auch relativ kühl von den Temperaturen. Die Natur ist beeindruckend, allerdings wirken die Wälder sehr düster. Gerade richtig für eine Figur wie den Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler. Auf einer Anhöhe bei Annaberg-Buchholz übernachten wir. In der Nähe steht ein Burgfried, den ein reicher Fabrikant in der Zeit der Burgenromantik aufbauen ließ. Von seiner Zinne aus hat man einen umfassenden, meinetwegen auch romantischen Blick, auf die Stadt.

In Morgenröthe-Rautenkranz erwartet uns ein Highlight der etwas anderen Art. In einem Kaff mit 800 Einwohnern steht ein modernes Gebäude in quatratisch praktischer Manier. Daneben eine Stele und in der Nähe ein Kampfjet aus sowjetischer Produktion auf einem Potest. Während Karin ungläubig stutzt, war mir sofort klar, um was es sich hier handeln muß. Um eine jüngere Mythologisierung eines geschichtlichen Ereignisses. Und da kommt bei dem ganzen Zirkus nur einer infrage, der im Westen Deutschlands auch heute noch ziemlich unbekannt geblieben ist: Sigmund Jähn, der erste Deutsche, der ins All flog. Lange vor der Zeit der medialen Inszenierung um Astronauten wie Alexander Gerst, hat sich ein Ostdeutscher unter sowjetischer Ägide auf den Weg gemacht, das Weltall zu erkunden. Die Ossis kennen ihn, dem Wessi muß er heute noch in Erinnerung gerufen werden. Er wurde hier in der kleinen Gemeinde im Vogtland geboren.

Das Gebäude wirkt ziemlich überdimensioniert für den kleinen Ort.
Die MIG 21 aus den 60er Jahren.
Die Deutsche Eiche steht !

Ja, zum Abschluß kommen wir wieder zu den Bäumen. Begonnen haben wir unsere Reise mit einem Zitat des Knetzgauer Bürgermeisters Stefan Palus: „Die Birke ist kein fränkischer Baum und sie muß weg. Für jeden Biologen ist sie ein Gräuel. Sie ist ein nordischer Baum“ Mit solchen Aussagen im Gepäck reisten wir in den Norden Europas. Die Entgültigkeit und Vehemenz der Aussage eines fränkischen Bürgermeisterleins hat uns tausende von Kilometern begleitet. Ja, die Birke ist ein nordischer Baum. Sieht steht dort nicht nur vereinzelt, sondern gruppiert sich dort zu Waldlandschaften. Bis in den hohen Norden kommt sie vor. Ganz oben findet man sie allerdings nicht mehr. In Deutschland hat sie uns auf den Landstraßen im Osten bis an die Grenze Bayerns begleitet. Nicht nur vereinzelt stehend, sondern in Alleenform, fast durchgängig von Nord nach Süd. In Bayern ändert sich die Landschaft. Die Alleen sind veschwunden. Birken stehen nur selten. In gewisser Hinsicht hat der Knetzgauer Recht. Die Birke ist kein fränkischer Baum, oder sollte man vielmehr sagen nicht mehr! Und Alleen gelten wohl als Sicherheitsrisiko für den Verkehr. „Des Gelump muß wach. Es mecht an Drag.“ So höre ich die Verantwortlichen und ihre Schergen in meinem Ohr. Nur warum funktioniert das Ganze wenige Kilometer entfernt in benachbarten Bundesländern? Es hat schon seinen Grund warum der NABU-Deutschland unsere Region als Paradebeispiel für einen versauten ländlichen Umweltschutz anführt. Punkt. Aus.

P.S. Zum Bild der „Deutschen Eiche“ gibt es natürlich auch noch eine Geschichte. In Ystad (Schweden) hat sich ein älterer Herr beim Frühstück zu uns gesetzt. Wir hatten ein nettes Gespräch. Es handelte sich um einen Deutschen, der vor vielen Jahren nach Schweden auswanderte um dort zu arbeiten und seine Frau zu heiraten. Auf die „Birkenproblematik“ in unserer Heimatgemeinde angesprochen, antwortete er: „Was wollen die dann dort pflanzen? Wahrscheinlich die deutsche Eiche.“ Sein abschätziger Blick sprach Bände. Wir konnten nur schweigend zustimmen.

Zurück in Deutschland

Nachts legt die Fähre in Rostock an. Viel zu dunkel, um auf die Schnelle einen sicheren Übernachtungsplatz auszumachen. An den angefahrenen Plätzen in Rostock sitzen komische Gestalten in Autos herum. Seltsam, in Skandinavien fühlten wir uns sicher, zurück in der Heimat macht sich ein Gefühl von Unsicherheit breit. Nein, in Rostock wollen wir die Nacht nicht verbringen. Wir fahren aufs Land. In dem Städtchen Schwaan parken wir an dem Fluß Warnow auf einem Parkplatz. Es dauert nicht lange, da fährt ein Auto dicht an uns heran und der Fahrer lurt auf unser Nummernschild. „Wo die wohl herkommen. Was wollen die da.“ Welcome home. So ein Verhalten haben wir nicht vermisst, aber so schnell auch nicht erwartet. Trotzdem war die Nacht ruhig. Vielleicht müssen wir uns an diese einheimischen neugierigen Trottel einfach nur wieder gewöhnen. Vermisst haben wir sie nicht.

Über das Brandenburger Land schieben wir uns langsam nach unten. Unsere erste Überlegung war, über Westdeutschland zu fahren, was wir sehr schnell verworfen haben. Im Ruhrpott leben einfach zuviele Menschen. Das wäre ein Schock für uns. Wir entscheiden uns für den Nachhauseweg über Ostdeutschland. Weniger Menschen und die Regionen sind reizvoll.

Zurück und alles hat den Anschein in Überregulierung zu erstarren. In meinem Buch über Finnland wird Deutschland im Vergleich dazu als überregulierte Gesellschaft beschrieben. Bei uns wird vieles im Gegensatz zu Skandinavien über Verbotsschilder geregelt. Man soll dies, man darf das nicht. Bei vielen Einwohnern ist diese Vorgehensweise vielleicht notwendig. Der Sicherheits- und Verbotswahn ist zumindest augenfällig. Ein finnischer Bauer hat das einmal so beschrieben: „Ich kann doch die Leute über Verbotsschilder nicht behandeln wie kleine Kinder.“ Die Stege zu den Booten sind in Skandinavien offen, Geländer an exponierten gefährlichen Stellen sind selten.

In Rheinsberg ist der Bootsteg verschlossen.

Zumidest das Brot ist für Karins Geschmack erträglicher geworden. Und im Brandenburger Land verstehen sie es, eine richtig leckere Sülzwurst herzustellen. Weiter geht es über den Spreewald und die Lausitz. Auffällig ist auch hier die Polizeipräsenz. In Rheinsberg werden Autos und Mofas kontrolliert, ständig kommen einen Polizeiwagen entgegen, oder stehen herum. In Norwegen haben wir drei Fahrzeuge gesehen, alle unbemannt vor der Wache stehend. In Schweden fuhren mal zwei Fahrzeuge hinter einem Rettungswagen. Nur in Finnland war in der Nähe der russischen Grenze ein ähnliches Polizeiaufkommen zu beobachten wie in Deutschland. Seltsam, daß zurück in der Heimat die Präsenz der Ordnungshüter kein Gefühl der Sicherheit vermittelt, sondern eher das Gegenteil bewirkt.

Fehmarn

Nach einem ausgiebigen Mittagessen bei der Familie ging es um die Mittagszeit endlich los. Unser „Herbi“ war startklar und wir auch.

Unsers erste Etappenziel ist Fehmarn. Von dort wollen wir nach Dänemark übersetzen. Die Insel ist relativ klein. Einen kostenlosen Stellplatz haben wir über Park 4 Night gefunden. Er liegt direkt am Deich und Toiletten sind vorhanden. Auf Fehmarn füllen wir noch kurz die Vorräte auf und befahren an einem warmen Tag die Fähre in Puttgarden, die uns in 45 Minuten nach Dänemark bringt.