In den vergangenen Monaten haben wir Länder bereist. Dieser Weg ist uns nun verwehrt. Die kommende Reise wird in eine andere Region sein. Statt der geographischen Ferne werden wir durch die Coronakrise gezwungen, uns auf den Weg in die Ferne unseres Inneren zu machen. Das öffentliche Leben verlangsamt sich, wir werden zunehmend auf uns selbst zurückgeworfen. Daheim in den vier Wänden sitzen bedeutet reduzierte Zeiten für den Ausbruch in den öffentlichen Raum. Wir werden mental und körperlich zu Gefangenen. Geographisch gebunden bleibt der geistige Weg offen, verlangt geradezu danach beschritten zu werden. Wer das nicht kann und möchte hat ein Problem. Er wird an der momentanen Situation auch im vermeintlichen gesunden Zustand leiden.
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Blaise Pascal.
Falls das Zitat von Pascal stimmt, ist die momentane Situation auch eine Chance dem Glück auf neuen Wegen entgegenzugehen. Keine einfache Reise, wenn man bedenkt, daß sich die tibetanischen Gebetswimpel plötzlich als Symbol der Pseudoinnerlichkeit entpuppen könnten, der liebgewonnene, geldvergütete temporäre Exkurs zum „Hier und Jetzt“ an den Instituten plötzlich wegbricht und man feststellt, daß der Weg zum eigenen Ich einige Gefahren birgt, die man vorher an andere delegiert hatte. Die Sinne stellen sich um. Ihr Fokus verändert sich vom Blick in die Ferne zur Betrachtung des Naheliegenden. Der winzig kleine Virus zwingt uns dazu die mikroskopische Dimension in den Mittelpunkt zu rücken. Die Karten sind gleich verteilt, keiner kann sich den Spielregeln entziehen. Ein demokratisches Moment in Zeiten von Ausgangssperre und Reduzierung von Bürgerrechten. Das große Ganze schrumpft zusammen auf ein Geflecht aus regionalen Stimuli. Der Weg vor die Haustür wird zur weiten Welt. Der Spaziergang um den Block zur existentiellen Erfahrung. Der Holunder treibt sein Grün, der Wind singt jeden Tag ein anderes Lied. Schlüsselblumen verkünden den Frühling, sind Anzeiger saisonaler Veränderung. Während der Virus uns ruhig stellt, läuft in der Natur ein Programm ab, das resitenter auf feindliche Attacken reagiert als wir. Es macht deutlich: Wir sind nicht der Nabel der Welt. Und falls wir es denn sein möchten, dann sind die Parameter unseres Lebens offenbar falsch gesetzt. Während vor einigen Wochen noch Außenstellen auf dem Mars als Zukunfszenario die Medien beherrschte, sind wir mittlerweile soweit davon entfernt wie der Steinzeitmensch von einem Atomkraftwerk. Die geografischen Prioritäten verschieben sich, die Zukunft wird in andere Regionen imaginiert. Substantielle Dinge gewinnen an Bedeutung. Es geht ums Leben und Überleben. Die Hamsterkäufe in den Supermärkten machen es deutlich. Klopapier, Nudeln, Hefewürfel. Es wird gehortet, als wäre der Schnitter schon wieder unterwegs. Große Reisen schrumpfen zusammen von einigen hundert auf eine überschaubare Zahl von wenigen Kilometern. Die Weite wird zum Korridor. Die als tägliche Nichtigkeiten wahrgenommenen Ereignisse werden zentral für unseren Blick. Entschleunigung, ein bisher esoterisch bescheuerter Begriff erhält jetzt eine andere Dimension mit konkreter Einfärbung. Der Weg zum Supermarkt ein Abenteuer, nicht nur virologischer Art, sondern auch im zwischenmenschlichem Sinn. Bekannte über Distanzen zu begrüßen ist eine neue Form der sozialen Kommunikation. Die Finnen und sonstige Nordmänner dürften damit weniger Schwierigkeiten haben als z.B. die Italiener. Die individuellen Abstände zwischen Personen sind zwischen den einzelnen Nationen unterschiedlich. Für uns war der Weg zum Supermarkt bisher eine Reise ins Ungewisse. Keine Desinfetionsmittel an der Kasse, das Kartenlesegerät wurde nicht desinfiziert und Sicherheitsabstände gibt es bisher nicht, oder sie werden nicht eingehalten. Deutschland steuert auf eine Katastrophe zu. Italienische Verhältnisse halten wir bei diesem Befund für wahrscheinlich, leider. Was bleibt ist der Rückzug in die Isolation. Und von dort werden wir dann unsere Reise in das Krisengebiet antreten. Eine Reise, die nur aus einigen Kilometern besteht. Sie wir spannend sein. Ungewiss wie eine Fahrt durch unbekanntes Gebiet. Unser Motto „panta rhei“ ist für uns immer noch von zentraler Bedeutung und es hat den Anschein, als wäre die Quintessenz nicht obsolet. Der Weg von Eschenau nach Knetzgau wird für uns zur Weltbühne. Wer hätte gedacht, daß es einmal soweit kommt. Im Vorüberfahren die einzelnen Häuser mit ihren Bewohnern in Gedanken abklappern zeugt von regionaler Verbundenheit und rudimantäres Wissen über die Menschen in der eigenen Umgebung. Ein Aspekt, der auf weiten Reisen vernachlässigt wird. Wir sind zurück und was nun wichtig wird, sind die Menschen in unmittelbarer Nähe und Freunde, die sich in Krisensituationen als solche erweisen.