Mit alten Bekannten ist das so eine Sache. Sieht man sie nach Jahren wieder, wird die gegenseitige Entfremdung sehr schnell offensichtlich. Erst stellt sich ein schleichendes Unbehagen ein, welches in die Frage mündet, ob man früher in vielerlei Hinsicht noch ähnlicher war, oder einfach nur Scheuklappen getragen hat? Anschließend beginnt man sich darüber zu ärgern, daß man sich überhaupt auf eine erneute Begegnung eingelassen hat. Mit Rügen ist es uns so gegangen. Vor 20 Jahren waren wir schon mal auf Deutschlands größter Insel. Damals besuchten wir die Insel im März, heute sind wir im Oktober hier. Die Witterungsverhältnisse sind vergleichbar. Was uns damals schon aufgefallen war und auch heute noch gilt: Der Verkehr, vor allem im Ostteil der Insel ist extrem. Auf den Straßen reiht sich ein Auto an das andere. Göhren und Sassnitz haben wir wiedererkannt. Dort hat sich auf den ersten Blick in all den Jahren nicht großartig etwas verändert (bei näherer Betrachtung natürlich schon). Enttäuschend für uns ist der Besuch von Prora. Im Umfeld der Anlage entstand einiges an neuer Bausubstanz. Lagerhallen, Einkaufsmärkte, Straßen und Häuserzeilen, die den Archetypus der „Little Boxes“ aus dem Song von Malvina Reynolds erschreckend nahe kommen. Damals fuhren wir auf einer alten Betonstraße direkt an Prora vorbei und parkten vor der Anlage. Heute gibt es dort ein Parkleitsystem mit diversen kostenpflichtigen Parkplätzen. Der Sinn der an den Wegen stehenden Holzschilder mit Phantasienamen aus der Schublade der Alpenromantik erschließt sich uns nicht. Teilabschnitte von Prora sind saniert. Eine große Jugendherberge sticht ins Auge, Cafes, ein Hotel und Appartements für Betreutes Wohnen. Doch viele Lofts stehen leer. Hinter den Fenstern sind die Räume kahl, unmöbliert und unbeleuchtet. Sie warten darauf belebt zu werden. Das geschäftige Treiben und die daraus erwachsenden wirtschaftlichen Vorteile seien den Einheimischen auf alle Fälle gegönnt, allerdings verliert Prora dadurch den Charakter den es vor 20 Jahren hatte: Ein Denkmal des Größenwahns der Nazis zu sein. Der erneute Besuch der Anlage ist für uns deshalb eher enttäuschend ausgefallen. Wir laufen am Ostseestrand an den Gebäuden vorbei, trinken einen Kaffee und verlassen relativ schnell den Ort. Bei einer weiteren Sehenswürdigkeit Rügens ergeht es uns ähnlich. Der Kaiserstuhl, die berühmteste Kreidefelsformation Rügens, kam damals noch ohne Klimbim aus. Heute stehen wir nach einer drei Kilometer langen Wanderung, vor dem Nationalpark-Zentrum. Fast zehn Euro würde uns der Eintritt kosten. Und nur dann haben wir die bekannt-romantische Aussicht auf den Kreidefelsen. Wir sind nicht die einzigen die kehrt machen und von Halsabschneiderei sprechen. Schade, aber wir haben ihn schließlich vor zwei Jahrzehnten gesehen und den Parkplatz und die Entsorgung unseres Womos lassen sie sich hier auch gut bezahlen. Nichts wie weg von hier. Am nächsten Tag verlassen wir die Insel wieder. Drei Tage sind mehr als genug. Auf die Ostsee haben wir blicken können. Fast ein Jahr ist es nun her, daß sie uns in Schweden, Finnland und dem Baltikum täglich begleitet hat. Das Meer zieht uns immer wieder an, doch es hält uns nicht lange in seinem Bann. Der Kommerz und die Menschenmaßen lassen uns immer sehr schnell das Weite im Inland suchen. Dort, mit dem Womo auf Schotterplätzen hinter Dorfkirchen stehend, fühlen wir uns eher zuhause, als auf Dünen, an beliebten Seen oder an irgendeinem Strand.