Im französischen Baskenland, in der Nähe der Gemeinde Hasparren statten wir den Höhlen Isturitz und Oxocelhaya einen Besuch ab. In Spanien steht für uns die für ihre Darstellungen bekannte Altamira-Höhle auf dem Programm. Zu einem Besuch kommt es allerdings nicht, da dem Parkplatzwärter unser Parkverhalten mißfällt, er uns durch diesen Zwischfall unsere Motivation raubt, worauf wir das Weite suchen. Altamira werden wir in diesem Leben wohl nicht mehr sehen. Im spanisch-französischen Grenzgebiet befinden sich jedoch einige Höhlen, die für die prähistorische Forschung von herausragender Bedeutung sind. Als wir den Shell-Atlas studieren, um unsere Rückreise aus Spanien zu planen, entdecken wir in der Nähe der französischen Stadt Périgueux den Eintrag Grotte de Lascaux.
Zu dieser Höhle habe ich einen persönlichen Bezug. In meiner Magisterabschlußprüfung in Ethnologie wurde mir von meinem Professor eine Darstellung aus der Höhle vorgelegt, die ich interpretieren sollte. Sie zeigt ein Bison und einen Mann. Das von einem Speer durchbohrte Bison, dessen Eingeweide aus dem Bauch herausquellen, geht auf einen gestürzten Mann mit Vogelkopf los, der vierfingerig (Vögel) und mit erigiertem Geschlecht dargestellt wird. Eine gebrochene Speerschleuder (?) mit Vogelkopf liegt an seiner Seite. Was könnte nun diese Malerei darstellen? Naheliegend wäre es, sie im Bereich der Jagdmagie zu verorten, die mit dem Begriff „Herr der Tiere“ umschrieben ist. Diese Interpretation wird auch während der Führung in Lascaux angesprochen. Eine Interpretation im Rahmen des religiösen Komplexes des Schamanismus ist für die Gästeführerin jedoch plausibler. Und in diese Richtung hatte ich damals in meiner Abschlußprüfung argumentiert. Der Schamane mit seiner Vogelmaske und der Abbildung seines Krafttieres auf der gebrochenen Speerschleuder ist in Trance. Er befindet sich zwischen den Welten von Leben und Tod (erigierter Penis!). Damals wußte ich nicht, daß die Malerei im ca. 2,5 Meter langen „Schacht“ angebracht wurde, einen schwer zugänglichen Bereich im hinteren Teil der Höhle und das man sich aufgrund des Sauerstoffmangels dort nur für maximal zehn Minuten aufhalten kann. Diese Tatsache ist natürlich sehr aufschlußreich, handelt es sich doch somit nicht nur symbolisch um einen Ort zwischen Leben und Tod. Der Aufenthalt dort war für die Menschen ein gefährliches Unterfangen, und nur durch Abseilen möglich. Nimmt man all diese Aspekte zusammen, so liegt es nahe, der Malerei eine religiöse Konnotation zuzuschreiben. Ob nun schamanistische Vorstellungen in Stein gebannt wurden, oder ob die Darstellung mit dem Komplex von Übergangsriten in Verbindung steht, werden wir 20000 Jahre später nicht mit Sicherheit beantworten können. Die Konzepte zur Interpretation der Höhlenmalerei stehen allerdings zu unserer Verfügung.