Metaponto und die Magna Graecia

Über die App Park4Night finden wir einen Übernachtungsplatz in der Nähe von Metaponto. Er liegt direkt am Strand. Wir sind nicht allein. Es stehen bereits zwei Wohnmobile dort. Die Typen kommen aus Pinneberg. Hinter ihren Vans steht noch ein Anhänger. Wie sich später herausstellen wird, dient der zum Verstauen des Kitedrachen. Wir parken hinter den beiden, direkt auf dem geschotterten Weg, da die Parkplätze nebenan mittlerweile geschlossen sind. Viel Platz ist auf der Zufahrt nicht mehr, vor allem deshalb, weil einer der beiden sich quer gestellt hat, vermutlich um aus seinem Seitenfenster einen direkten Blick auf das Meer zu haben. Wir sind nicht lange dort, als ein Einheimischer kommt und einen der Pinneberger anspricht. Wie sich herausstellt spricht er kein italienisch. Als ich dazukomme fragt er mich, ob ich italienisch könne, was ich leider verneinen muß. Offensichtlich ist, daß dem Italiener die Parkweise des quer stehenden Wohnmobils stört. Ich versuche eine der elementarsten Formen von Kommunikation und ritze sein Problem mit einem Stecken in den Sand. Prompt kommt vom Pinneberger die Antwort: „Das habe ich schon verstanden.“ Ich sage nichts, denke mir aber: „Du Depp, es geht hier nicht um dich, sondern um den Einheimischen, der sich an etwas stört.“ Es geht darum eine Verbindung aufzubauen zwischen ihm und uns, und daß wir sein Problem respektieren. Stattdessen fängt der Pinneberger auf deutsch an mich gerichtet zu schwadronieren an: Eine Nacht würde schon gehen, das Auto gehöre seinem Kumpel der noch irgendwo am Strand unterwegs sei. Er hätte ein kleines Kind dabei (diese „Kindervorschieber“ haben wir wirklich gefressen) und ein Umparken würde wegen des Windes deshalb nicht gehen. Komisch 50 bzw. 100 Meter weiter hinten an der Straße merkt man den Wind nicht mehr, warum stehen sie dann nicht dort? Schließlich rennt er davon, sagt er müsse seinen Kite einpacken und läßt mich mit dem Italiener alleine stehen. Was für ein Idiot denke ich mir. Als Karin dazu kommt, stehen wir bei ihm und geben unsere wenigen italienischen Wörter zum Besten. Er verabschiedet sich schließlich und geht zum Strand. Am nächsten Tag als wir aufbrechen, stehen die beiden Wagen immer noch dort. Es sieht nicht so aus, als ob sie heute abreisen. Spätestens seit der Begegnung mit dem Einheimischen hätten wir unseren Wagen umgeparkt, ach was, wir hätten überhaupt nicht so eingeparkt. Wir fahren rückwärts und wenden in drei Zügen mitten auf dem Weg, da der Wendeplatz am Strand durch die Typen versperrt ist. Und genau das war das Problem des Italieners, die ziemlich liberal sind wenn es darum geht, wie und wo man sein Auto abstellt. Wundern muß man sich dann nicht, wenn an immer mehr Plätzen in Europa „Camping verboten“-Schilder stehen. Den Einheimischen kann man es bei so einem Verhalten nicht verdenken. Nach tausenden Kilometern Reise in Skandinavien und Italien ist zumindest auffällig, daß vor allem die jüngeren Wohnmobilisten (mit ihren gepflegten Bärten und Gebetsfahnen im Auto) dieses Verhalten an den Tag legen. Grüße im Vorbeigehen werden ignoriert, die Nachbarschaft wird als störend empfunden. Man möchte ihnen zurufen: „Jungs und Mädels, wenn ihr euren Egotrip fahren wollt, dann dürft ihr euch nicht nach einer App richten.“ Die älteren Wohnmobilisten sind kommunikativer, soviel steht fest.

Am Strand bei Metaponto.

Doch zurück zu Metaponto. In der Antike war die Stadt eine bedeutende Siedlung der Magna Graecia. Im 8. Jhd. v. Chr. siedelten Griechen in Süditalien und Sizilien und brachten ihre Kultur und religiösen Glaubensvorstellungen mit. In Metaponto stehen noch heute Reste eines Heratempels.

Die dorischen Säulen des Heratempels bei Metaponto.

In der Stadt gibt es ein Museum, in dem Unmengen an Artefakten aus prähistorischer und griechischer Zeit zu bewundern sind. Vasen, Krüge Waffen und Schmuckgegenstände werden in den Vitrinen präsentiert. Leider sind die Beschreibungen der archäologischen Fundstücke, bzw. die geschichtlichen Hintergründe auf den Schautafeln nur in italienisch. Schade, im Kulturhauptstadtjahr von Matera hätte dem Museum ein internationaler Ansatz sicher nicht geschadet. Hervorragend und sehr modern aufgemacht ist die Teilausstellung zu Pythagoras bzw. zur Geschichte der Mathematik. Die Themenwahl erfolgte wohl deshalb, weil Pythagoras im 6. Jhd. v. Chr. nach Metaponto übersiedelte und dort seine Schule gegründet hat. In dieser Stadt ist er laut Überlieferung auch verstorben. Auf uns hinterläßt die Stadt einen verschlafenen Eindruck. Die besten Zeiten hat Metaponto lange hinter sich.

Sonne am Morgen…
Sonnenuntergang am Strand.
Strandgewächse.

Hügel, Bergdörfer und Wälder – die Basilikata

Über Troia, das noch in Apulien liegt, nähern wir ins langsam der Basilikata. Als wir auf den freien Stellplatz von Troia fahren, ist der rappelvoll mit italienischen Wohnmobilen. Es ist der 2. November und an Allerheiligen haben die Leute vielleicht ihre Verwandtschaft und die Gräber ihrer Verstorbenen besucht. Ich erkenne den Platz sofort wieder, denn ich hatte ihn bereits in einem Youtube-Video gesehen.

Der Stellplatz ist voll mit italienischen Wohnmobilen.
In den Gassen von Troia.
Solchen Altären begegnen wir häufig.
Ein Brunnen mit kostenlosem Wasserangebot.
Die Messen für die Verstorbenen werden hier plakatiert.

Wir haben uns die Basilikata karger vorgestellt, jedoch gibt es hier immer wieder bewaldete Abschnitte. In der Landwirtschaft dominieren große Ackerflächen, die sich nicht selten über die weitläufige Hügellandschaft erstrecken. Dazwischen stehen Olivenhaine, die wie Diagonalen die Landschaft durchziehen. Im Vergleich zu den Abruzzen herrscht ein weitläufigeres Panorama vor. Die Landschaft wirkt offener. Hoch oben, auf den Bergrücken liegen Städte und Dörfer. Selbst bei Regen hat die dünn besiedelte Region etwas Liebliches und Schroffes zugleich.

Ein typisches Städtchen auf dem Bergrücken.

In Melfi wurde Geschichte geschrieben. Langobarden, Normannen und Friedrich II. seien als geschichtliche Fixpunkte genannt. Die alte Burg diente dem Stauferkaiser Friedrich II. als Sommerresidenz und hier hat er 1231 seine Gesetzessammlung geschrieben.

Die Normannen- bzw. Stauferburg in Melfi.
Hier oben bläst der Wind.

Matera ist neben dem bulgarischen Plovdiv Kulturhauptstadt Europas 2019. Interessant ist die Altstadt mit ihren Sassi, den Höhlensiedlungen, die seit 1993 zum Weltkulturerbe gehören.

Begegnungen und Eindrücke

In der Region Molise treffen wir an unserem Übernachtungsplatz an der Strandmole ein älteres Ehepaar aus der Schweiz. Sie überlassen uns eine Pumpe für unsere defekte Toilettenanlage.

Mal sehen wie wir die in den schwer zugänglichen Wasserkasten einbauen. Dazu brauchen wir allerdings Schrumpfschläuche, denn die elektrische Verbindung liegt laut „Manual“ des Herstellers komplett unter Wasser. Der Platz an dem wir stehen ist seltsam. Ständig fahren Autos vorbei. Ein Auto kommt alle halbe Stunde, fährt dicht an uns und den anderen fünf Campern vorbei und bleibt am Ende der Mole für eine Zeit lang stehen, fährt davon und kommt nach einer halben Stunde wieder. Ab und an kommen andere Leute, die deplatziert an der Strandpromenade auf ihren Smartphones herumdatteln. Dazwischen fährt die Polizei ihre Runden mit Blaulicht ohne Sirene die gleiche Strecke ab. Irgendwoher kommen plötzlich Leute und Autos, wie aus dem Nichts tauchen sie auf. Der Schweizer und ich rätseln, ob es sich hier um einen Schwulentreff, oder um einen Drogenumschlagplatz handelt. Wir wissen es nicht. Auffällig ist aber, daß dieses nächtliche Fahrverhalten in Italien häufiger anzutreffen ist. Der Kraftstoffpreis ist anscheinend immer noch zu billig hier, obwohl er um einiges teurer ist als in Deutschland. Am nächsten Tag brechen wir frühzeitig auf, denn die gleichen Typen wie letzte Nacht ziehen schon am Vormittag ihre Runden. Seltsam das Ganze. Nach einer Woche wird es wieder mal Zeit einen Campingplatz anzufahren, um unsere Wäsche zu waschen. Nur haben fast alle die wir anfahren geschlossen. Wir reisten bisher immer in der Nachsaison bzw. außerhalb der Saison. Einen offenen Stellplatz finden wir trotzdem. Ohne Waschmaschine und Toiletten ( die werden gerade erneuert), aber mit Dusche. Wir bleiben zwei Tage in der Garganoregion, waschen unsere Wäsche von Hand und treffen interessante Leute. Tim und Sabine aus Nordeutschland stehen neben uns und wir spielen abends ein paar Runden „Mölkky“. Wir stehen direkt am Meer bei 24 Grad im Schatten und haben den kilometerlangen Strand für uns alleine. Bei diesen Temperaturen könnte man durchaus noch schwimmen. In Norwegen wären bei diesem Wetter die Strände voll. Aber wir sind im Süden und die Warmduscher hier schließen ihre Anlagen und Strandabschnitte spätestens Ende Oktober.

Am Gargano.
Italienisches Feeling.
Ein paar Zehen Knoblauch zum Frühstück machen munter und wärmen den Magen.
Karins Fundsachen am Strand.

Je weiter wir in den Süden kommen, desto mehr Müll liegt am Straßenrand. Selbst in den Wäldern wird der Müll entsorgt. Pappschachteln sind da noch die harmlose Variante an Zivilisationsartefakten. Auffällig sind auch die Straßenhunde, die wir weiter nördlich nicht gesehen haben. An einem Einkaufsmarkt streunen drei herum, suchen einerseits unsere Nähe und bleiben dennoch auf sicherer Distanz. All zu oft werden diese Hunde mit Steinen beworfen und reagieren deshalb ängstlich.

Solche Müllberge am Straßenrand sieht man oft….

Die Straßen sind oftmals schlecht: Löcher bzw. zigmal ausgebessert. Wir haben den Eindruck, daß Verkehrsregeln nur Hinweischarakter haben. Steht ein Schild mit 50km/h wird mindestens 80 km/h gefahren. Durchgezogene Linien und Sperrstreifen gibt es zwar, aber sie werden ignoriert. Verbotsschilder stehen mehr als in Deutschland, nur beachten sie die wenigsten. Wir sind da etwas vorsichtiger, schließlich sind wir Ausländer und man weiß nie wie uns Gesetzesübertretungen ausgelegt werden. Statt der vorgeschriebenen Geschwindigkeit fahren wir ca. 20km/h schneller. Würden wir uns strikt an die Regeln halten, hätte uns so mancher Autofahrer bereits in den Straßengraben geschoben 🙂

In den Abruzzen

Ob es in den Abruzzen das beste italienische Olivenöl gibt, können wir noch nicht beurteilen. Im Moment sind die Bauern noch bei der Ernte. Hie und da kommt uns ein Lkw voll beladen mit den ölhaltigen Früchten entgegen. Die Abruzzen sind in der Vergangenheit immer wieder von Erdbeben heimgesucht worden. An der Straße steht ein Wegweiser nach Amatrice, das 2016/2017 von mehreren Beben komplett zerstört wurde. Schließlich landen wir in L‘Aquila, der Hauptstadt der Abruzzen, in der es 2009 ein verheerendes Erdbeben gab, von dem sich die Stadt bis heute nicht erholt hat. Überall stehen Baukräne, Betonmischer und das nervtötende Kreischen der Winkelschleifer die Steine zerteilen ist nicht zu überhören. Der Staub zermahlenen Steins liegt in der Luft. Die Sicht in die, mit unzähligen Metallstangen abgestützten Innenräume der Altbauten spricht für sich. Nach 10 Jahren ist hier nicht viel passiert. Die Gelder aus Rom versickerten in dubiose Kanäle, natürlich unter Mithilfe örtlicher Politiker. Ehrenwerte Leute und eine Gesellschaft, die mit dem italienischen Stadt untrennbar verflochten scheint, hatten wieder einmal ihre Hände im Spiel. Viele neue Häuser stehen zwischen dem Chaos, das sicherlich noch lange das Bild der Innenstadt bestimmt. Wir wollen in den Gran Sasso Nationalpark. Im Moment liegt dort noch kein Schnee. Die Abruzzen gelten mit ihren über 20 Skiorten als schneesicherer als die italienischen Alpen. Der höchste Berg in den Abruzzen, der Corno Grande, hat eine Höhe von 2912m. Die fehlerhafte Temperaturanzeige von „Herbie“ bereitet uns Sorgen, da einige Pässe vor uns liegen und wir im Moment nicht wissen, ob der Lüfter des Kühlers überhaupt läuft.

Die Temperaturanzeige geht bei kaltem Motor in die Mittenstellung und verändert sich auch während der Fahrt nicht.

Wir entschließen uns in L’Aquila eine Werkstatt aufzusuchen. Im Internet finden wir eine offizielle Citroen-Werkstatt, die gute Bewertungen bei Google hat. Eine kleine Klitsche käme uns genauso gelegen. Irgendeinen Anhaltspunkt brauchen wir aber. Als digitale Kinder verlassen wir uns eben auf das Internet. Um 10 Uhr früh gehen wir ins Büro der Werkstatt. Einem jüngeren Typ erkläre ich unser Problem in einer Mischung aus italienischem Säuglingssprech und englischen Schlagwörtern. Dabei fange ich an wie ein Italiener mit den Händen zu wedeln. Der Kerl geht wortlos in die Werkstatt und kommt mit einem älteren Kollegen zurück, der erst seine Mama verabschiedet, indem er ihr links und rechts auf die Wange küsst. Die Beiden reden auf italienisch und nur die Tatsache, daß sie vor unserem Auto stehen, wiegt uns in der Sicherheit, sie würden sich schon um unser Problem kümmern. Der Ältere nimmt den Wagenschlüssel und fährt „Herbie“ auf das Gelände und sofort in die Werkstatt, in der bereits einige Autos stehen. Der Jüngere durchkämmt den Motorraum nach eventuellen Problemen, die Zigarillo glutlos im Mundwinkel. Der Ältere schließt sofort den Diagnosecomputer an und treibt unser Auto auf Temperatur, indem er das Gaspedal durchtritt. Als der Jüngere unseren gequälten Gesichtsausdruck bemerkt, führt er uns in den Ausstellungsraum, wo wir uns zwischen Wasserspender, Kaffeeautomat und Ausstellungswagen auf einer Ledersitzgruppe niederlassen. Ein Bücherregal steht in der Ecke, voll mit Bildbänden über Motorräder der Marke Ducati. Nebenan, hinter einem Glasfenster, sitzt eine gelangweilte Bürokraft, die häufiger auf ihr Smartphone starrt, als auf den PC vor sich. Nebenan hören wir unseren Wagen, die beiden Kerle treiben ihn heiß. Nach einiger Zeit kommt der Zigarillotyp, winkt uns mitzukommen. Der Ältere erklärt mir am Computer die Zahlen, zeigt mir die Temperatur des Motors am Display und der Jüngere zielt mit der Zigarillo auf den Lüfter, der tatsächlich läuft. Die Anzeige funktioniert nicht, aber der Lüfter läuft. Eine gute Nachricht. Wir sind uns fast wortlos, aber gestikulierend einig, daß die Anzeige überbewertet wird, da ja sonst alles funktioniert. Nachdem das geklärt ist, erwähne ich noch unser „problema piccolo“, die defekte Kennzeichenbeleuchtung. Der Ältere geht, holt einen Schraubendreher und versucht die Fassung auszuhebeln. Das Teil ist störrisch. Mit einem Plastikspatel klingt er schließlich die Fassung aus. Nun wissen wir wie es geht. Die Lampeneinheit ist nur gesteckt. Rohe Gewalt reicht zur Demontage 🙂 Er holt eine neue Birne aus dem Schrank, setzt sie ein und das Ganze funktioniert wieder. Zum Schluß fährt er unseren „Herbie“ auf die „Pole-Position“, wie er sich ausdrückt, also vor das Werksgelände. Er steigt aus, der Wagen läuft. Ich gehe zu ihm und sage auf italienisch, daß ich bezahlen möchte. Er sieht mich an, sagt „No“. Ich bestehe darauf, aber er weigert sich hartnäckig. Leider habe ich nur 10 Euro in bar im Geldbeutel. Widerstrebend nimmt er sie. Er wünscht uns eine gute Reise und verschwindet wieder in der Werkstatt. Als wir im Auto sitzen sind wir sprachlos. Sofort malen wir uns aus, wie es bei uns zuhause laufen würde. Da kommt ein Italiener in die Vertragswerkstatt zu Gelder-Sorg-und-Co, spricht ein paar Brocken deutsch und…. Kann sich ja jeder selbst ausmalen wie diese fiktive Geschichte ihren Lauf nehmen würde. Ich nehme an nicht so. Eine Stunde Fehlersuche in der Werkstatt und zusätzlich wurde die Birne der Kennzeichenbeleuchtung kostenlos repariert. Ein paar kostbare Euros kann man da schon lassen. Und ich bin der festen Überzeugung, daß sich ein durchreisender Ausländer bei uns ganz weit hinten anstellen muß, wenn er ein Problem hat wie wir es hatten. 1:0 für die Menschlichkeit in Italien.

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn…

Ab nach Italien, dort herrschen auch im Herbst noch sommerliche Temperaturen. Auf der A7 geht es Richtung Füssen, um bei Reutte nach Tirol zu fahren. Über die A7 fährt es sich entspannter als über die A9 nach München, denn der Verkehr hält sich in Grenzen. In Hopfen am See verbringen wir die erste Nacht auf einem Wanderparkplatz. Zwischen einem befahrenen Zuggleis und einem Naturschutzgebiet gelegen, wird der große Schotterplatz auch von Hundehaltern frequentiert, die ihre Vierbeiner dort ausführen. Außer uns steht nur noch ein weiteres Wohnmobil auf dem Platz. Am nächsten Tag in aller Frühe kommen die ersten Gassigänger. Nachdem sie ihre Köter ausgeführt und zurück ins Auto bugsiert haben, brausen sie mit Vollgas davon und drücken dabei sehr lange auf ihre Autohupen. Dieses Verhalten soll wohl bedeuten: „Verpisst euch, ihr Deppen“. Dabei kommt uns die Begegnung mit einem deutschen Segler ins Bewußtsein, den wir in einem schwedischen Hafen getroffen hatten und mit dem wir ein stundenlanges anregendes Gespräch führten. Dieser meinte er würde keinen Urlaub mehr in Bayern machen, da die sich dort eben so aufführen wie wir es in Hopfen am See erleben durften. Es mag ja sein, daß die Leute sich da unten mittlerweile vom Tourismus überrollt fühlen, aber mein Gott, wenn im Herbst und Winter die Parkplätze leer sind und die Camper ihren Müll wieder mitnehmen, dann gibt es doch keinen Grund sich so aufzuführen. So ein Verhalten haben wir bisher nirgends erlebt und es ist auch für uns ein Grund, die Region als Urlaubsziel zukünftig zu meiden, soweit sind wir uns mit dem Segler aus Schleswig einig. Oben im Norden hatten wir unsere Ruhe vor solchen Bergschraden.

In Tirol fahren wir über das Timmelsjoch nach Südtirol. Den Österreichern müssen wir dafür natürlich Maut berappen, die zum Teil an die Italiener transferiert wird. So spektakulär wie in meiner Erinnerung ist die Strecke nicht. Viele Spitzkehren gibt es, doch die Straße haben sie wohl seit den 80er Jahren verbreitert. Wir sind schon interessantere und schwierigere Pässe gefahren. Das Wohnmobil mit seinen 3 Tonnen Gewicht will natürlich gebremst werden. Bergab hat es dann doch gehörig aus den Radkästen gequalmt, da ich mit der Motorbremse etwas nachlässig umgegangen bin. Aber wir sind unten angekommen und fanden uns in Südtirol wieder, eine der langweiligsten Regionen, die wir bisher gesehen haben. Apfelplantagen soweit das Auge reicht, in einem Tal das nicht enden will. Schnell weg von hier.

Am Timmelsjoch.
Zwangspause am Timmelsjoch, da es aus den Radschächten qualmte.
Wie wäre es mit einem Schild auf dem steht was alles erlaubt ist… 🙂

Der Gardesee ist nicht viel besser. Eine Ortschaft reiht sich an die nächste. Restaurants, Cafes, Bars und Vergnügungshöllen für jedes Alter. Der See an sich ist schön, wenn nur der ganze Klimbim nicht wäre. In Torbole verbringen wir die Nacht auf einem städtischen Stellplatz auf dem die Toiletten bereits um 19 Uhr schließen. Toll, in Italien wird einem so langsam bewußt, welche Dimensionen das „Hartlingsche-Toilettendilemma“ annehmen kann und daß es auch wirklich existiert 🙂 Am nächsten Tag treffen wir Walter auf einem Campingplatz bei Lazise, der dort zufälligerweise mit einem befreundeten Ehepaar steht. Wir hatten einen schönen Abend mit den dreien.

Besuch bei Walter in Lazise auf dem Campingplatz.

Über das Podelta und Rimini geht es weiter nach Cascia in Umbrien. Dort sind wir durch Zufall gelandet. Wir sind den unzähligen Reisebussen vor uns hinterher gefahren. In Cacia liegt die Hl. Rita begraben. Fünf Kilometer weiter, in dem 70 Seelendorf Roccaporena wurde sie geboren. Dort haben wir genächtigt und dem Wallfahrtstreiben zugesehen. Willkommen in Italien. Wir sind am nächsten Morgen auf dem Kreuzweg zur Bergkapelle gelaufen. Dort soll die Heilige jeden Tag gebetet haben. Souvenirs haben wir bei den örtlichen Devotionalienhändlern natürlich auch erworben.

Roccaporena von der Bergkapelle aus betrachtet.
Reges Treiben im Wallfahrtsort.
Nicht nur Heiligenbildchen, auch regionale Spezialitäten gibt es hier.
Er sucht die Morgensonne….
il numero cinque.
Bilder am Kreuzweg.
Der Kläffer im Dorf.
Oben angekommen….
Vongolefischer im Podelta.

Der Verkehr in Italien ist extrem. Die dichte Besiedelung, vor allem an der Küste und in der Poebene tragen nicht dazu bei, ein Gefühl der Entspannung aufkommen zu lassen. Außerdem ist die Landschaft flach und ein Industriekomplex reiht sich an den nächsten. Die Straßen sind teilweise in einem erbärmlichen Zustand. Oft genug werden wir kilometerlang durchgerüttelt. Unsere Klospülung hat den Geist aufgegeben. An der Sicherung liegt es nicht, es wird wohl die Pumpe sein. Die eine Kennzeichenleuchte funktioniert ebenfalls nicht, ich weiß nur nicht wie ich die Lampenfassung öffnen soll, die Bedienungsanleitung ist etwas widersprüchlich gehalten. Was mir allerdings Sorgen bereitet: Die Temperaturanzeige steht immer in Mittelstellung, bei kalten wie bei warmen Zustand des Motors. Und ich bin mir nicht sicher, ob der Lüfter anläuft. Laut Internetdiagnose kann die Ursache vielfältig sein. Vom einfachen Masseproblem eines Kabels, den Temperatursonden, bis zur defekten Platine des Anzeigeinstruments. Wie beruhigend 🙂 Wir passen uns dem Land an, machen es wie die Italiener und ignorieren solche Nebensächlichkeiten. Erfreulich ist nämlich, daß der Espresso nur 1 € kostet und die Tassen, anders als in Deutschland, vorgewärmt sind. Es sind die kleinen Dinge, die zählen und glücklich machen. Natürlich schlagen wir dazu noch das Angebot an Meeresfrüchten an der Fischtheke, den hervorragenden Käse und die diversen Salamis. Der Verfasser dieses Textes wird auch nicht müde zu erwähnen, daß die Kutteln und Ochsenschwänze hier in verschiedenen Varianten angeboten werden. Hier scheint es eine Tür zum kulinarischen Paradies zu geben, die uns einen Spalt weit geöffnet wurde, was kümmert uns da eine Anzeige in einem Haufen rollenden Blechs, – erst mal.

Von Annaberg-Buchholz nach Morgenröthe-Rautenkranz bis zur Deutschen Eiche.

Durch Brandenburg in den Spreewald, weiter in die Lausitz und das Erzgebirge, dann in das Vogtland und in das Fichtelgebirge und schließlich vor die eigene Haustür zu fahren, hat schon seinen Reiz. Nach all den Wochen wird einem auch klar, daß Geschichte auch anders laufen kann. Während in Norwegen das Königshaus importiert wurde und ohne angehängten Adel regiert, begegnen einem bei uns die Geschichten um Schlachten der Adelgeschlechter (vielmehr der tributpflichtigen Bauern) an allen Orten. In Norwegen gab es keinen Adel. Der Bauer war dort nie Leibeigener. Demzufolge sucht man Schlösser und Burgen dort vergebens, außer als Wehrburgen in der Grenzregion. Keine Rede von Guttis und sonstigen Adeligen. In der Region um Narvik findet man dagegen Schilder zur jüngeren Geschichte. Die Schlacht um Narvik ist immer noch in Erinnerung. Davon wußten wir bisher nichts. Über die Existenz des größenwahnsinnigen Schiffes „Tirpitz“ habe wir in seiner Bedeutung erst dort erfahren. Was hat „das größte Reisebüro der Welt“, die Wehrmacht eigentlich dort verloren gehabt? Zurück in Deutschland stellen Schlachtplätze wohl ein touristisches Highlight dar. In der Schlacht von Gransee hat der Mecklenburger gegen den Brandenburger und der Wittelsbacher hat auch noch … insgesamt 7000 Mann die sich für irgendeinen Quatsch auf die Schädel gehaut haben.

Schlacht bei Gransee 1316.

Das Schild hat natürlich eine Öffnung, so daß die Schlacht für die Instagram-Jünger perfekt in Szene gesetzt wird. So geht Tourismus heute! Der letzte Depp versteht es, ein Bild oder Selfie an dieser Stelle aufzunehmen.

Im Erzgebirge waren wir in den letzten Jahren schon öfter. Die Region ist wirklich schön, jedoch auch relativ kühl von den Temperaturen. Die Natur ist beeindruckend, allerdings wirken die Wälder sehr düster. Gerade richtig für eine Figur wie den Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler. Auf einer Anhöhe bei Annaberg-Buchholz übernachten wir. In der Nähe steht ein Burgfried, den ein reicher Fabrikant in der Zeit der Burgenromantik aufbauen ließ. Von seiner Zinne aus hat man einen umfassenden, meinetwegen auch romantischen Blick, auf die Stadt.

In Morgenröthe-Rautenkranz erwartet uns ein Highlight der etwas anderen Art. In einem Kaff mit 800 Einwohnern steht ein modernes Gebäude in quatratisch praktischer Manier. Daneben eine Stele und in der Nähe ein Kampfjet aus sowjetischer Produktion auf einem Potest. Während Karin ungläubig stutzt, war mir sofort klar, um was es sich hier handeln muß. Um eine jüngere Mythologisierung eines geschichtlichen Ereignisses. Und da kommt bei dem ganzen Zirkus nur einer infrage, der im Westen Deutschlands auch heute noch ziemlich unbekannt geblieben ist: Sigmund Jähn, der erste Deutsche, der ins All flog. Lange vor der Zeit der medialen Inszenierung um Astronauten wie Alexander Gerst, hat sich ein Ostdeutscher unter sowjetischer Ägide auf den Weg gemacht, das Weltall zu erkunden. Die Ossis kennen ihn, dem Wessi muß er heute noch in Erinnerung gerufen werden. Er wurde hier in der kleinen Gemeinde im Vogtland geboren.

Das Gebäude wirkt ziemlich überdimensioniert für den kleinen Ort.
Die MIG 21 aus den 60er Jahren.
Die Deutsche Eiche steht !

Ja, zum Abschluß kommen wir wieder zu den Bäumen. Begonnen haben wir unsere Reise mit einem Zitat des Knetzgauer Bürgermeisters Stefan Palus: „Die Birke ist kein fränkischer Baum und sie muß weg. Für jeden Biologen ist sie ein Gräuel. Sie ist ein nordischer Baum“ Mit solchen Aussagen im Gepäck reisten wir in den Norden Europas. Die Entgültigkeit und Vehemenz der Aussage eines fränkischen Bürgermeisterleins hat uns tausende von Kilometern begleitet. Ja, die Birke ist ein nordischer Baum. Sieht steht dort nicht nur vereinzelt, sondern gruppiert sich dort zu Waldlandschaften. Bis in den hohen Norden kommt sie vor. Ganz oben findet man sie allerdings nicht mehr. In Deutschland hat sie uns auf den Landstraßen im Osten bis an die Grenze Bayerns begleitet. Nicht nur vereinzelt stehend, sondern in Alleenform, fast durchgängig von Nord nach Süd. In Bayern ändert sich die Landschaft. Die Alleen sind veschwunden. Birken stehen nur selten. In gewisser Hinsicht hat der Knetzgauer Recht. Die Birke ist kein fränkischer Baum, oder sollte man vielmehr sagen nicht mehr! Und Alleen gelten wohl als Sicherheitsrisiko für den Verkehr. „Des Gelump muß wach. Es mecht an Drag.“ So höre ich die Verantwortlichen und ihre Schergen in meinem Ohr. Nur warum funktioniert das Ganze wenige Kilometer entfernt in benachbarten Bundesländern? Es hat schon seinen Grund warum der NABU-Deutschland unsere Region als Paradebeispiel für einen versauten ländlichen Umweltschutz anführt. Punkt. Aus.

P.S. Zum Bild der „Deutschen Eiche“ gibt es natürlich auch noch eine Geschichte. In Ystad (Schweden) hat sich ein älterer Herr beim Frühstück zu uns gesetzt. Wir hatten ein nettes Gespräch. Es handelte sich um einen Deutschen, der vor vielen Jahren nach Schweden auswanderte um dort zu arbeiten und seine Frau zu heiraten. Auf die „Birkenproblematik“ in unserer Heimatgemeinde angesprochen, antwortete er: „Was wollen die dann dort pflanzen? Wahrscheinlich die deutsche Eiche.“ Sein abschätziger Blick sprach Bände. Wir konnten nur schweigend zustimmen.

Zurück in Deutschland

Nachts legt die Fähre in Rostock an. Viel zu dunkel, um auf die Schnelle einen sicheren Übernachtungsplatz auszumachen. An den angefahrenen Plätzen in Rostock sitzen komische Gestalten in Autos herum. Seltsam, in Skandinavien fühlten wir uns sicher, zurück in der Heimat macht sich ein Gefühl von Unsicherheit breit. Nein, in Rostock wollen wir die Nacht nicht verbringen. Wir fahren aufs Land. In dem Städtchen Schwaan parken wir an dem Fluß Warnow auf einem Parkplatz. Es dauert nicht lange, da fährt ein Auto dicht an uns heran und der Fahrer lurt auf unser Nummernschild. „Wo die wohl herkommen. Was wollen die da.“ Welcome home. So ein Verhalten haben wir nicht vermisst, aber so schnell auch nicht erwartet. Trotzdem war die Nacht ruhig. Vielleicht müssen wir uns an diese einheimischen neugierigen Trottel einfach nur wieder gewöhnen. Vermisst haben wir sie nicht.

Über das Brandenburger Land schieben wir uns langsam nach unten. Unsere erste Überlegung war, über Westdeutschland zu fahren, was wir sehr schnell verworfen haben. Im Ruhrpott leben einfach zuviele Menschen. Das wäre ein Schock für uns. Wir entscheiden uns für den Nachhauseweg über Ostdeutschland. Weniger Menschen und die Regionen sind reizvoll.

Zurück und alles hat den Anschein in Überregulierung zu erstarren. In meinem Buch über Finnland wird Deutschland im Vergleich dazu als überregulierte Gesellschaft beschrieben. Bei uns wird vieles im Gegensatz zu Skandinavien über Verbotsschilder geregelt. Man soll dies, man darf das nicht. Bei vielen Einwohnern ist diese Vorgehensweise vielleicht notwendig. Der Sicherheits- und Verbotswahn ist zumindest augenfällig. Ein finnischer Bauer hat das einmal so beschrieben: „Ich kann doch die Leute über Verbotsschilder nicht behandeln wie kleine Kinder.“ Die Stege zu den Booten sind in Skandinavien offen, Geländer an exponierten gefährlichen Stellen sind selten.

In Rheinsberg ist der Bootsteg verschlossen.

Zumidest das Brot ist für Karins Geschmack erträglicher geworden. Und im Brandenburger Land verstehen sie es, eine richtig leckere Sülzwurst herzustellen. Weiter geht es über den Spreewald und die Lausitz. Auffällig ist auch hier die Polizeipräsenz. In Rheinsberg werden Autos und Mofas kontrolliert, ständig kommen einen Polizeiwagen entgegen, oder stehen herum. In Norwegen haben wir drei Fahrzeuge gesehen, alle unbemannt vor der Wache stehend. In Schweden fuhren mal zwei Fahrzeuge hinter einem Rettungswagen. Nur in Finnland war in der Nähe der russischen Grenze ein ähnliches Polizeiaufkommen zu beobachten wie in Deutschland. Seltsam, daß zurück in der Heimat die Präsenz der Ordnungshüter kein Gefühl der Sicherheit vermittelt, sondern eher das Gegenteil bewirkt.

Skandinavien – Auf Wiedersehen…

Langsam neigt sich unsere Skandinavienreise dem Ende zu. Über zwei Monate waren wir unterwegs und die unterschiedlichen Landschaften der einzelnen Länder haben uns fasziniert. Von Trelleborg geht es mit der Fähre in 8 Stunden über die Ostsee nach Rostock. Wehmut macht sich breit, denn wir hatten herrliche Tage hier und das Wetter spielte mit. Wir hatten an zwei Tagen richtig Regen, ansonsten nur Sonnenschein und angenehme bis heiße Temperaturen. Es hätte auch anders laufen können. So aber, haben die skandinavischen Länder sich uns von ihrer schönsten Seite gezeigt. Als Fazit kann man sagen, daß sich die Reise gelohnt hat. Wer mit dem Camper unterwegs ist, wird keine bessere Region finden was die Infrastruktur an Ver- und Entsorgungsmöglichkeiten angeht. Wer die Einsamkeit in den Wäldern und der Natur liebt, kommt auf seine Kosten. So einen klaren und überwältigenden Sternenhimmel wie in Finnland habe ich bisher noch nie gesehen. Kein Lichternebel einer Ansiedlung oder Stadt in der Ferne lenkt in den Weiten des Landes ab. Bei uns wird der Horizont nicht dunkel. Irgendwo, 30 Kilometer weiter ist eine Stadt, die ihre Lichtverseuchung in die Nacht schickt. Das Surren von Mücken am Ohr, das Schnappen eines Fisches an der Oberfläche eines Sees, die unheimliche Stille, die entgegen der landläufigen Meinung nicht „still“ ist, sondern laut in die eigenen Gedanken eindringt. Hier kann man sie finden. Gut ausgestattete Grillplätze gibt es zuhauf. Unsere Übernachtungsplätze lagen an traumhaften Orten. Was will man mehr? Wie bereits erwähnt, findet man häufig Toiletten und Mülleimer. Für Reisende im Wohnmobil eine vorbildliche Situation. Die Menschen, denen wir begegnet sind, waren freundlich und wir hatten nie das Gefühl der Unsicherheit an einem bestimmten Ort. Selbst in den Städten treiben sich weniger „abgebrochene Gestalten“ herum als bei uns. Zumindest haben wir sie nicht gesehen 🙂 Der Rhythmus ist langsamer als gewohnt. In der Regel laufen die Menschen gemächlich, selbst wenn sie einkaufen hetzen sie nicht und die Milch wird von der Verkäuferin nicht hecktisch über das Einkaufsband nach vorne geschleudert. Die Lebensmittel in den Läden sind teuerer als bei uns, allerdings haben wir den Eindruck, daß die Qualität besser ist.

Zurück in Schweden

Seit ein paar Tagen sind wir wieder in Schweden. Der Verkehr ist entschleunigend, wie wir es von der Hinfahrt und aus Norwegen gewohnt waren. Mit 70 km/h durch die Landschaft und mit 110 km/h auf der Autobahn. Diese Regelungen würden wir uns auch in Deutschland wünschen. Unseretwegen auch die unzähligen permanenten Kameras am Straßenrand. Das Navigationsgerät warnt uns rechtzeitig vor ihnen. Aber ihr Vorhandensein hat einen erzieherischen Effekt, der nicht zu unterschätzen ist. So viele Begegnungen und Gespräche wie in Schweden hatten wir weder in Norwegen und Finnland, noch in Estland und Lettland. Die Schweden sind einfach sehr kommunikativ, nett und hilfsbereit. In Norwegen hat man oft das Gefühl, sie sind überheblich und „gucken einen mit dem Arsch nicht an“. Finnland dagegen ist ein eigenes Kapitel wert. Dort wird man komisch beäugt, wenn man sich nur erdreist ein Lächeln auf den Lippen zu tragen. Vor sich hinstarren und flüstern gilt wohl als stilvoll. Die Pärchen an den Tischen in den Restaurants schauen sich gegenseitig an, wortlos natürlich, pulen mit Zahnstochern in den Zähnen herum und sehen sich dabei in die Augen. So scheint Erotik auf finnisch zu laufen. Aber wir sind zurück in Schweden und uns gefällt es sehr gut hier, vor allem auf Öland (!). Zur Hauptsaison möchten wir zwar nicht hier sein, aber Anfang Septemper läßt es sich hier aushalten. Viele Touristengeschäfte haben bereits geschlossen, was uns nicht weiter stört, solche Läden betreten wir sowieso nur selten. Der Süden der Insel ist reizvoller als der Norden, der eher an die Vegetation und Siedlungsweise des Festlandes erinnert. Im Süden findet man viele Zeilendörfer und für Ornithologen ist die Insel sicher ein Paradies. Auffällig sind die unzähligen, in den Wind drehbaren Windmühlen. Heute stehen davon noch ca. 400. Im 19. Jahrhundert waren es um die 2000 Stück. Für historisch Interessierte sind die Gräberfelder aus der Eisen- und Wikingerzeit zu nennen. Am beeindruckendsten sind allerdings die Steinkreise, die hier äußerst zahlreich vorkommen und sich auch auf den Weiden der Bauern befinden. Wenn ich mir an dieser Stelle so manchen fränkisch-teutonischen Bauern vorstelle, dann habe ich nur den Spruch im Ohr: „Des aldda Gelumb muss wach“. Und es ist ja auch weg. Wo findet man so etwas noch bei uns? Die Steinzertrümmerer unserer Großbauern haben den Rest schon vor langem ins historische Nirvana geschickt.

Hier stehen die gleichen Bäume, nur empfinden wir sie anders.
Es sind die gleichen Menschen, nur sehen wir sie anders.
Wir führen ähnliche Gespräche, nur verlaufen sie anders.

Lettland

Die drei baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen sind nicht sehr groß. Wer nicht aufpasst, fährt schon mal unbeabsichtigt über die Grenze. Die im Gepäck befindlichen Reiseführer der Touristen tragen deshalb oft den zusammenfassenden Titel „Baltikum“. Und auch wir dachten nicht, daß die Unterschiede zwischen den Ländern so augenscheinlich sind. Ein Würzburger Ehepaar, das uns in Finnland begegnet ist, meinte die Esten wären den Finnen sehr ähnlich, während die Letten und Litauer eher wie die Deutschen ( der Mann sprach von Polen 🙂 wären. Gleich nach der Grenze fällt auf, daß die Bausubstanz in den Ortschaften älter ist als in Estland. Die Landschaft hat sich trotz geografischer Nähe geändert. Plötzlich sind die Nadelbäume weniger geworden und Laubbäume nehmen zu. An der Küste und in den Wäldern finden sich wie in Estland Grillstellen. Die Sandstrände sind kilometerlang und in den Morgenstunden oft menschenleer (Warum nach Mallorca fliegen, wenn es hier so tolle Strände gibt?) Auf den Märkten bekommt man ausgezeichnete Ware. Frischen Knoblauch direkt vom Acker. Mit dreckiger Schale wie selbst angebaut und innen saftig und aroamtisch. Die Petersiliensträuße sind riesig und das Kraut schmeckt in unseren diversen Soßen sehr intensiv. Auf dem Markt bieten sie Pfifferlinge an. Ein Kilo kostet dort 5 €. Die Leute sind freundlich (wenn sie nicht hinter dem Steuer sitzen). Im Supermarkt geben sie uns Empfehlungen für den Salamikauf, weil wir wieder mal unschlüssig von einer Marke zur anderen laufen. Die großen Straßen in Lettland haben oft einen neuen Belag (sponsored by E.U.), bei kleineren Straßen bzw. abseits der Schnellstraßen kommen Erinnerungen an die Fahrten nach Hildburghausen und Meiningen gleich nach der Grenzöffnung auf. Das Gerumpel und die zigmal geflickten Wege scheinen kein Ende zu nehmen. In Estland waren die permanenten Kameras an den Straßen verschwunden, die Autofahrer hatten trotzdem einen ähnlichen Fahrstil wie die Finnen. Verwandt sind beide übrigens durch die finno-ugrische Sprachfamilie. Wenn ein Schild 90 Km/h anzeigt, dann fährt man diese Geschwindigkeit auch, egal ob die Fahrbahn trocken oder naß ist. Bei 30 km/h hält man sich allerdings auch an das Schild. Ist ein deutscher Schleicher unterwegs, wird er eben überholt. Langsam gewinnen wir den Eindruck, dass die Fahrweise immer unzivilisierter wird, je weiter wir Richtung Südwesten fahren. Die Höchstgeschwindigkeiten in den Ländern haben sich seit Norwegen stetig erhöht und der Fahrstil wird ebenfalls aggressiver. Geschwindigkeitsschilder haben in Lettland anscheinend nur Richtcharakteristik. Erstaunlich, daß nach der Grenze sofort ein anderer Fahrstil vorherrscht. Die LKWs fahren häufig weit rechts auf dem schmalen Seitenstreifen und das nicht ohne Grund. Von hinten schießen Autos heran, die auf einmal 5-6 andere Wagen überholen und dabei diverse Sperrstreifen und Abzweigmarkierungen ignorieren, um dann einen LKW oder einen Pkw gleichzeitig zweireihig (!) zu überholen. So etwas haben wir bisher auch noch nicht gesehen. Andere Länder, andere Fahrsitten… Von rechts fuhr mir einer aus einer Ausfahrt kommend fast in die Seite, vermutlich weil er in lettischer Manier dachte, meine Gegenfahrbahn sei ja frei und ich wechsle dorthin um ihn ausfahren zu lassen. Aber mein Hirn denkt eben deutsch und so schnell kann und will ich mich nicht umpolen. Wie wir von Anderen erfahren haben, ist der Fahrstil in Polen anscheinend noch rauer als hier. Auf der Straße geht es uns einfach zu aggressiv zu, weshalb wir den Entschluß gefasst haben, ein zivilisierteres Land anzusteuern, zumindest was den Straßenverkehr anbelangt. Es geht von Ventspils aus mit der Fähre nach Nynäshamn, also in acht Stunden einmal quer über die Ostsee, zurück nach Schweden. Wir übernachten am Fährhafen. In der Nähe findet eine Art Straßenfest statt. Jung und Alt sind auf den Beinen. Mehrere Stände bieten Kulinarisches und Selbstgemachtes an. Die örtliche Craft Beer Brauerei ist gut besucht und nach zwei Bier ist Karin fast soweit, daß sie auf die Tanzfläche geht, um zu lettischer Unterhaltungsmusik zu tanzen. Die Band ist wirklich gut. Der Sound ist druckvoll und die Töne stimmen. Der Typ am Kontrabass muß eine dicke Hornhautschicht an den Fingern haben 🙂